P Nikolai Wolper:               Das  Zeugnis eines Liebenden (1 Kor 13, 4f.)

 

In  memoriam

 

Vater Ambrosius

(Dr. med. A. Backhaus),

 

Mitra tragender Erzpriester

in Lübeck und Hamburg

 

23.8.1923 – 3.4.2005

 

Den meisten von uns wird das Bild der letzten Jahre in Erinnerung bleiben: immer mühsamer, schließlich an Krücken, aber in ungebrochener Verkündigungs-Freude den Gottesdienst vollziehend, vor neun Monaten nach den Knie-Operationen wie neugeboren seinen vielfältigen Tätigkeiten nachgehend und wie eh und je technik-begeistert  mit den stets aktuellsten Aufnahmegeräten hantierend und noch am Vorabend seines Todes – besorgte Nachfragen beschwichtigte er wie immer, wenn es um seine Person ging – in großer Schwäche nach dem Beichte-Hören zelebrierend: sitzend, die Ektenien fast hauchend , bis er nach dem Hexapsalm die Kirche verlassen musste – viele ahnten mit Tränen in den Augen, dass es sein letzter Gottesdienst auf Erden gewesen war.

Manchen bewegte nach der Todes-Nachricht der Gedanke, dass fast genau zehn Jahre zuvor, am 9.41995,  als Vater Benedikt ebenfalls am Sonntagmorgen gestorben war, uns Vater Ambrosius mit Blick auf die Kuppelmalerei getröstet hatte in der Zuversicht, dass er nun die Göttliche Liturgie im Himmel feiern dürfe und dies ein Grund zur Freude und Dankbarkeit sei.

Als Vermächtnis hinterließ Vater Ambrosius die schon formulierten Ostergrüße, die wie die Ansprache zu seiner eigenen Beerdigung klangen:  „...Ich muss abnehmen, DU, Christe, wirst wachsen. CHRIST IST ERSTANDEN! KEIN TOTER MEHR IM GRABE!...“

Die freudige Erwartung, im Tod Christus zu begegnen, war das bestimmende Thema , je älter er wurde. Unvergesslich sind seine begeisternden Worte am Sarg seiner Matuschka Kira vor fünf Jahren. Hier bezeugte er, dass es ihm ernst war mit der Verkündigung der Auferstehung – nicht nur, wenn er andere trösten wollte, sondern gerade auch, wenn er selbst ganz persönlich betroffen war.

 

Seine geistige Gestalt

 

Dazu gehörte die schlichte, einfache, ansteckende Herzensfrömmigkeit, mit der er die Zuhörer begeistern und wärmen konnte, ebenso wie die große in der „Freiheit  eines Christenmenschen“ (Luther) gegründete Weite, mit der er den verschiedensten Menschen über die Religions- und Konfessionsgrenzen hinweg ohne Berührungsängste begegnete, z.B.  als Schiffsarzt auf den Weltmeeren wie in der amtsärztlichen Randgruppen-Betreuung vertraut mit der Kehrseite der Seefahrt. (Welcher Priester kann schon von sich behaupten, zeitweilig in sämtlichen Bordellen Hamburgs bekannt gewesen zu sein?!) Seine Doktorarbeit 1968 galt „sozialhygienischen Erhebungen zur Problematik der Freizeit der Seeleute“.  Menschen nicht be- oder gar verurteilen, sondern verstehen – gerade auch in ihrer Unvollkommenheit – war seine Vertrauen weckende Devise.

(Seine durchaus eigenwillige Großzügigkeit bei der  Gottesdienstgestaltung erforderte von den Altardienern Geistesgegenwart und Reaktionsschnelligkeit; der „ambrosianische Ritus“  - eine Anspielung auf liturgische Privilegien, die die römische Kirche traditionell der Mailänder Diözese gewährte – war unter den kundigen Betroffenen augenzwinkernd-.gefürchtet.)

 

Diese Weltläufigkeit war Vater Ambrosius wohl schon in die Wiege gelegt worden, wuchs er doch in einem liberal-bildungsbürgerlichen Elternhaus auf, kultiviert, allerdings ohne gelebte Religiosität.  Gern berichtete er von seiner Mutter, die in Rom Kunstgeschichte studiert hatte; aber auch von seinem Großvater, der in Bremen Pastor gewesen war und sich allwöchentlich mit dem katholischen Kollegen und dem Rabbiner zum freundschaftlichen Weinabend getroffen hatte.

Die Gegenwelt von Tod und Verzweiflung lernte er lebensprägend ab 1942 als Soldat und 1944 in russischer Kriegsgefangenschaft kennen.

 

„Das Evangelium und auch das Alte Testament erschienen mir als Kind, als Jugendlicher im Krieg und in Gefangenschaft und bis heute als die vernünftigste Gebrauchsanweisung zum Leben und die realistischste Darstellung der Welt. Die sich streitenden Jünger sind sehr viel wirklichkeitsnäher als die ergreifende Szene des Todes des Sokrates, wie sie Platon beschreibt.“

 

Obwohl beruflich sehr erfolgreich (immerhin hat er es  - beginnend mit dem Staatsexamen 1952 – bis zum Medizinaldirektor im Hafen- und Flughafenärztlichen Dienst und zum Betriebsarzt bei Hapag-Lloyd gebracht),  blieb er stets seinem bescheidenen Lebensstil in der Einzimmerwohnung treu, was seiner Genießerfreude beim Essen, Trinken und Feiern aber keinerlei Abbruch tat. (Aber freitags versagte er sich die geliebte Pfeife und erläuterte darob verwunderten Mitarbeitern den Sinn jeglicher Askese: ein Zeichen zu setzen, dass letztlich Christus alles im Leben ist, ohne die Welt und ihre Freuden verachten zu müssen.)

 

Sein Lebens-Motiv

 

Will man die vielen Facetten seiner Erscheinung zu einem Motiv zusammenführen, so drängt sich als das Thema seines Lebens und seiner leidenschaftlichen Verkündigung das des  Liebenden in farbiger Fülle auf. Den Schlüssel dazu stellt die in so vielen Vorträgen und spontanen Statements – wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über – beschworene Bedeutung der Ehe –  als Lebensbund und als  Metapher -  bereit. (Der theologische Aspekt der Einheit Christi und der Kirche als Urbild der sakramentalen  Ehe war als Hintergrund gegenwärtig; vordergründig knüpfte Vater Ambrosius  jedoch eher psychologisch an die Alltagserfahrung von Liebenden – oder doch wenigstens deren Ideal – an.) Besonders deutlich wird dieser Zugang in dem Bereich, in dem Vater Ambrosius sich jahrzehntelang im Bewusstsein  der orthodoxen „Verantwortung in der Diaspora“  (G. Seide) profilierte und sich dabei auch manchem Befremden und Unverständnis aussetzte: seinem Engagement in der Ökumene.

Zwei Jahre habe er versucht  seine „Frau zu finden“  -  und damit meinte er nicht nur seine Ehepartnerin Matuschka Kira, die er im Philosophie- und Sinologie-Studium kennen gelernt hatte und mit der er bis zu ihrem Tod 2000 über fünfzig Jahre verheiratet gewesen ist;  sondern auch seine  Suche nach der religiösen Heimat 1948 – 1950. Habe er in der evangelischen Kirche die Gemeinschaft mit den Engeln und den Entschlafenen vermisst, und sei die römische Kirche ihm „zu klug“ (zu ausgefeilt systematisch-rational) erschienen, so sei ihm in der Orthodoxie schließlich die „Theologie als heilige Hoffnung“, für die nur das gelebte Glaubensbekenntnis verbindlich sei, begegnet.

„Diese Kirche passte in besonderer Weise zu mir. Sie war von der Fülle des Mithandelns des Menschen erfüllt. Gott lädt uns ein, vor allen Dingen im Gottesdienst, aber auch im Alltag, mithandelnd  mit ihm an seinem Werk teilzuhaben und durch diese Teilhabe gleichzeitig mit ihm vereinigt zu werden.“

Bischof Afanasij (damals für Hamburg zuständig, neben sieben weiteren Bischöfen, die unter Metropolit Anastasij Zigtausende russischer Emigranten in Deutschland betreuten, bis zu deren Weiterreise in die USA) weihte ihn am seltenen Doppelfest des Karfreitags und Mariä Verkündigung am 7.4.1950 zum Priester.

„Ich war auf diese Frage des Bischofs nicht vorbereitet, und es ist in gewisser Hinsicht bezeichnend für die einzelnen Etappen meines Lebens, dass sie durch eine solche Anrede bestimmt wurden, niemals – soweit ich das übersehen kann – durch irgendwelche Pläne oder Gedanken, die ich selbst gefasst hätte.“

 

 Eines seiner Anliegen war die Etablierung der monatlichen deutschsprachigen  Gottesdienste, zunächst für die des Russischen kaum mehr mächtigen Nachkommen der ersten Emigranten-Generation, später auch für die angeheirateten Konvertiten, wovon die Familien Diklic und Gerassimez noch heute dankbar berichten. Zusammen mit Matuschka Kira, seiner sprach- und sachkundigen Mitarbeiterin, u.a. als Gottesdienst-Leserin, hat er dem Chor die Übersetzungen der slawischen Texte geschenkt.

 

Seine Weisheits-Regeln

 

für den besonnenen Umgang mit Menschen (nicht nur in der Ökumene) hat Vater Ambrosius aus der Ehe-Erfahrung abgeleitet und unbeirrt vertreten (nicht systematisch, aber als Grundmelodie seiner zahlreichen Vorträge, die teils als Cassetten, teils als Transkripte existieren):

 

1.    „Im Glauben  wie in der Liebe gibt es keine Relativität.“

So wie die Freude des „nicht-exklusiven Superlativs“  keine Minderung  durch den Vergleich mit anderen Ehepartnern dulde, ohne ihnen doch das Recht auf ihre jeweils gleiche Erfahrung zu bestreiten, so sei auch das ungebrochene Bekenntnis zum eigenen Glauben  geboten, ohne die anderen Konfessionen herabzuwürdigen. Leidenschaftliche Liebe bedürfe keiner Verurteilung anderer. (Als Vorbeugung und Heilmittel gegen die Vergötzung der eigenen Erfahrungen und wertgeschätzten Besonderheiten empfahl Vater Ambrosius stets das Ephräm-Gebet aus der Großen Fastenzeit. ) Als seine Neigung zur kirchlich umstrittenen  Lehre der gnädigen Allversöhnung am Ende der Zeiten von einem Hörer mit der Frage nach dem Schicksal von Tätern wie Hitler auf die Probe gestellt wurde, erklärte er sie als „uninteressant“  für unser Leben, weil unsere Aufgabe allein das Gebet und das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit sei; offen blieb allerdings der Stellenwert der Opferperspektive...)

 

  1. „Wenn es dir wichtig ist, soll es auch mir wichtig sein.“

Wie ein Liebender seiner Frau z.B. den häufigen Besuch beim Friseur auch dann ermögliche, wenn ihm selbst die Wichtigkeit nicht einleuchte, so sei im Umgang z.B. mit Andersgläubigen   nicht der Streit angemessen, sondern das geduldige Gespräch und das glaubwürdige Bekenntnis mit dem eigenen Leben. (Jene haben – nicht erst nach seinem Tod – das überzeugende Beispiel von Vater Ambrosius stets respektiert.) Nach einem Vortrag im Rahmen des „Interreligiösen Dialogs“  an der Hamburger Universität zum Semester-Thema „Sterben und Tod in den Weltreligionen“  antwortete Vater Ambrosius auf die faszinierte Bemerkung eines  Studenten, über ein so begeistert-leidenschaftliches Bekenntnis zur Auferstehung könne man doch nicht diskutieren, eben das sei auch überhaupt nicht seine Absicht  gewesen... Die Originalität und Ausstrahlungskraft seiner Vorträge wurde von den Dialogpartnern stets sehr geschätzt.

 

3.    „Die Botschaft Christi ist radikal und steht quer zu aller Ausgewogenheit menschlicher

       Erklärungen“,

die – etwa im ökumenischen Dialog – niemandem auf die Füße treten dürften  und deshalb stets halbherzig seien. Nicht Arrangement mit der modernen Welt (und erst recht nicht mit sich selbst!) sei das Gebot der Verkündigung, sondern die beständige Umkehr – so wie im Alltag der Ehe. (Auch das demütig-geduldige Hinhören beim Lesen der Hl. Schrift – im Vertrauen  auf die absolute Wahrheit des fleischgewordenen Wortes (Logos), die sich oft erst im langen vertrauten Umgang mit ihm erschließe – ist ein Ausdruck dieser vorbehaltlosen Liebe, die Vater Ambrosius verkörperte.)

Nicht um der Wohligkeit willen gebe es die ökumenische Begegnung, sondern „dass die Welt glaube“  ( vgl. Joh 1,7 ). Und in diesem Geist nahm Vater Ambrosius z.B. jahrzehntelang an der ökumenischen  St.Ansgar-Vesper zum Fest des „Apostels des Nordens“  und ersten Bischofs von Hamburg und Bremen am 3.2. teil, grenzte sich aber unmissverständlich vom immer drängender artikulierten „Konfessions- und Kommunion-Tourismus“  um oberflächlicher Gemeinschafts-Erlebnisse willen ab.

Wenn er dagegen unermüdlich die Kirche als die durch Christus versöhnte Gemeinschaft der Sünder beschwor – seit seiner „Verheiratung“  mit der russischen Orthodoxie -  und als deren Medium das zur Lebenshaltung (zum Habitus) gewordene Gebet als „zielloses Ziergespräch“ (Th. Mann) in personaler Offenheit bezeugte, konnte er sich wiederum auf die Alltagserfahrung der Ehe berufen, speise sie sich doch von der jeder Liebe eigentümlichen Wiederholung der vertrauten Vollzüge. Gerade bei „spirituellen“ Gesprächspartnern wie Muslimen und Buddhisten fand er damit bisweilen mehr Resonanz als bei westlichen Christen, die ein eher aktionistisches Gottesdienst-Verständnis pflegen und dabei die Vereinigung mit Christus in der hl. Kommunion – der christlichen Weise der „unio mystica“, zu der Beten, Fasten und Versenkung nur Wege sind – immer geringer achten. Insofern war die  eucharistische Frömmigkeit  ständiger Inhalt seiner Predigten in der Göttlichen Liturgie.

 

Am Himmelfahrts-Fest hören wir den Appell des hl. Propheten Jesaja: „Stellt ein Zeichen auf für die Völker!“ (Jes 62,10c) Zum Zeichen des Lebenszeugnisses von Vater Ambrosius gehören:  die ansteckende  Glaubensfreude, die herzliche  Ausstrahlung auch auf Ferner-Stehende, der unaufdringlich-liebevolle  Verkündigungseifer, die geduldige  versöhnliche  Friedensarbeit, die kraftvolle Demut im Ertragen des eigenen  Leidens.

 

                                                             (überarbeitete Fassung des im Boten 3/2005 erschienenen Nachrufs)

 

 

                                                                     „Ewiges Gedenken!“