Den
meisten von uns wird das Bild der letzten Jahre in Erinnerung bleiben:
immer mühsamer, schließlich an Krücken, aber in ungebrochener
Verkündigungs-Freude den Gottesdienst vollziehend, vor neun Monaten
nach den Knie-Operationen wie neugeboren seinen vielfältigen
Tätigkeiten nachgehend und wie eh und je technik-begeistert mit den
stets aktuellsten Aufnahmegeräten hantierend und noch am Vorabend
seines Todes – besorgte Nachfragen beschwichtigte er wie immer, wenn
es um seine Person ging – in großer Schwäche nach dem Beichte-Hören
zelebrierend: sitzend, die Ektenien fast hauchend , bis er nach dem
Hexapsalm die Kirche verlassen musste – viele ahnten mit Tränen in den
Augen, dass es sein letzter Gottesdienst auf Erden gewesen war.
Manchen
bewegte nach der Todes-Nachricht der Gedanke, dass fast genau zehn
Jahre zuvor, am 9.41995, als Vater Benedikt ebenfalls am
Sonntagmorgen gestorben war, uns Vater Ambrosius mit Blick auf die
Kuppelmalerei getröstet hatte in der Zuversicht, dass er nun die
Göttliche Liturgie im Himmel feiern dürfe und dies ein Grund zur
Freude und Dankbarkeit sei.
Als
Vermächtnis hinterließ Vater Ambrosius die schon formulierten
Ostergrüße, die wie die Ansprache zu seiner eigenen Beerdigung
klangen: „...Ich muss abnehmen, DU, Christe, wirst wachsen.
CHRIST IST ERSTANDEN! KEIN TOTER MEHR IM GRABE!...“
Die
freudige Erwartung, im Tod Christus zu begegnen, war das bestimmende
Thema , je älter er wurde. Unvergesslich sind seine begeisternden
Worte am Sarg seiner Matuschka Kira vor fünf Jahren. Hier bezeugte er,
dass es ihm ernst war mit der Verkündigung der Auferstehung – nicht
nur, wenn er andere trösten wollte, sondern gerade auch, wenn er
selbst ganz persönlich betroffen war.
Seine geistige Gestalt
Dazu gehörte
die schlichte, einfache, ansteckende Herzensfrömmigkeit, mit der er
die Zuhörer begeistern und wärmen konnte, ebenso wie die große in der
„Freiheit eines Christenmenschen“ (Luther) gegründete
Weite, mit der er den verschiedensten Menschen über die Religions- und
Konfessionsgrenzen hinweg ohne Berührungsängste begegnete, z.B. als
Schiffsarzt auf den Weltmeeren wie in der amtsärztlichen
Randgruppen-Betreuung vertraut mit der Kehrseite der Seefahrt.
(Welcher Priester kann schon von sich behaupten, zeitweilig in
sämtlichen Bordellen Hamburgs bekannt gewesen zu sein?!) Seine
Doktorarbeit 1968 galt „sozialhygienischen Erhebungen zur
Problematik der Freizeit der Seeleute“. Menschen nicht be- oder
gar verurteilen, sondern verstehen – gerade auch in ihrer
Unvollkommenheit – war seine Vertrauen weckende Devise.
(Seine
durchaus eigenwillige Großzügigkeit bei der Gottesdienstgestaltung
erforderte von den Altardienern Geistesgegenwart und
Reaktionsschnelligkeit; der „ambrosianische Ritus“ - eine Anspielung
auf liturgische Privilegien, die die römische Kirche traditionell der
Mailänder Diözese gewährte – war unter den kundigen Betroffenen
augenzwinkernd-.gefürchtet.)
Diese
Weltläufigkeit war Vater Ambrosius wohl schon in die Wiege gelegt
worden, wuchs er doch in einem liberal-bildungsbürgerlichen Elternhaus
auf, kultiviert, allerdings ohne gelebte Religiosität. Gern
berichtete er von seiner Mutter, die in Rom Kunstgeschichte studiert
hatte; aber auch von seinem Großvater, der in Bremen Pastor gewesen
war und sich allwöchentlich mit dem katholischen Kollegen und dem
Rabbiner zum freundschaftlichen Weinabend getroffen hatte.
Die
Gegenwelt von Tod und Verzweiflung lernte er lebensprägend ab 1942 als
Soldat und 1944 in russischer Kriegsgefangenschaft kennen.
„Das
Evangelium und auch das Alte Testament erschienen mir als Kind, als
Jugendlicher im Krieg und in Gefangenschaft und bis heute als die
vernünftigste Gebrauchsanweisung zum Leben und die realistischste
Darstellung der Welt. Die sich streitenden Jünger sind sehr viel
wirklichkeitsnäher als die ergreifende Szene des Todes des Sokrates,
wie sie Platon beschreibt.“
Obwohl
beruflich sehr erfolgreich (immerhin hat er es - beginnend mit dem
Staatsexamen 1952 – bis zum Medizinaldirektor im Hafen- und
Flughafenärztlichen Dienst und zum Betriebsarzt bei Hapag-Lloyd
gebracht), blieb er stets seinem bescheidenen Lebensstil in der
Einzimmerwohnung treu, was seiner Genießerfreude beim Essen, Trinken
und Feiern aber keinerlei Abbruch tat. (Aber freitags versagte er sich
die geliebte Pfeife und erläuterte darob verwunderten Mitarbeitern den
Sinn jeglicher Askese: ein Zeichen zu setzen, dass letztlich Christus
alles im Leben ist, ohne die Welt und ihre Freuden verachten zu
müssen.)
Sein Lebens-Motiv
Will man die
vielen Facetten seiner Erscheinung zu einem Motiv zusammenführen, so
drängt sich als das Thema seines Lebens und seiner
leidenschaftlichen Verkündigung das des Liebenden
in farbiger Fülle auf. Den Schlüssel dazu stellt die in so vielen
Vorträgen und spontanen Statements – wem das Herz voll ist, dem geht
der Mund über – beschworene Bedeutung der Ehe – als
Lebensbund und als Metapher - bereit. (Der theologische Aspekt der
Einheit Christi und der Kirche als Urbild der sakramentalen Ehe war
als Hintergrund gegenwärtig; vordergründig knüpfte Vater Ambrosius
jedoch eher psychologisch an die Alltagserfahrung von Liebenden – oder
doch wenigstens deren Ideal – an.) Besonders deutlich wird dieser
Zugang in dem Bereich, in dem Vater Ambrosius sich jahrzehntelang im
Bewusstsein der orthodoxen „Verantwortung in der Diaspora“ (G. Seide)
profilierte und sich dabei auch manchem Befremden und Unverständnis
aussetzte: seinem Engagement in der Ökumene.
Zwei
Jahre habe er versucht seine „Frau zu finden“ - und damit meinte er
nicht nur seine Ehepartnerin Matuschka Kira, die er im Philosophie-
und Sinologie-Studium kennen gelernt hatte und mit der er bis zu ihrem
Tod 2000 über fünfzig Jahre verheiratet gewesen ist; sondern auch
seine Suche nach der religiösen Heimat 1948 – 1950. Habe er in der
evangelischen Kirche die Gemeinschaft mit den Engeln und den
Entschlafenen vermisst, und sei die römische Kirche ihm „zu klug“ (zu
ausgefeilt systematisch-rational) erschienen, so sei ihm in der
Orthodoxie schließlich die „Theologie als heilige Hoffnung“, für die
nur das gelebte Glaubensbekenntnis verbindlich sei, begegnet.
„Diese
Kirche passte in besonderer Weise zu mir. Sie war von der Fülle des
Mithandelns des Menschen erfüllt. Gott lädt uns ein, vor allen Dingen
im Gottesdienst, aber auch im Alltag, mithandelnd mit ihm an seinem
Werk teilzuhaben und durch diese Teilhabe gleichzeitig mit ihm
vereinigt zu werden.“
Bischof
Afanasij (damals für Hamburg zuständig, neben sieben weiteren
Bischöfen, die unter Metropolit Anastasij Zigtausende russischer
Emigranten in Deutschland betreuten, bis zu deren Weiterreise in die
USA) weihte ihn am seltenen Doppelfest des Karfreitags und Mariä
Verkündigung am 7.4.1950 zum Priester.
„Ich war
auf diese Frage des Bischofs nicht vorbereitet, und es ist in gewisser
Hinsicht bezeichnend für die einzelnen Etappen meines Lebens, dass sie
durch eine solche Anrede bestimmt wurden, niemals – soweit ich das
übersehen kann – durch irgendwelche Pläne oder Gedanken, die ich
selbst gefasst hätte.“
Eines
seiner Anliegen war die Etablierung der monatlichen deutschsprachigen
Gottesdienste, zunächst für die des Russischen kaum mehr
mächtigen Nachkommen der ersten Emigranten-Generation, später auch für
die angeheirateten Konvertiten, wovon die Familien Diklic und
Gerassimez noch heute dankbar berichten. Zusammen mit Matuschka Kira,
seiner sprach- und sachkundigen Mitarbeiterin, u.a. als
Gottesdienst-Leserin, hat er dem Chor die Übersetzungen der slawischen
Texte geschenkt.
Seine
Weisheits-Regeln
für den
besonnenen Umgang mit Menschen (nicht nur in der Ökumene) hat Vater
Ambrosius aus der Ehe-Erfahrung abgeleitet und unbeirrt vertreten
(nicht systematisch, aber als Grundmelodie seiner zahlreichen
Vorträge, die teils als Cassetten, teils als Transkripte existieren):
1.
„Im Glauben wie in der Liebe gibt es keine Relativität.“
So wie
die Freude des „nicht-exklusiven Superlativs“ keine Minderung durch
den Vergleich mit anderen Ehepartnern dulde, ohne ihnen doch das Recht
auf ihre jeweils gleiche Erfahrung zu bestreiten, so sei auch das
ungebrochene Bekenntnis zum eigenen Glauben geboten, ohne die anderen
Konfessionen herabzuwürdigen. Leidenschaftliche Liebe bedürfe keiner
Verurteilung anderer. (Als Vorbeugung und Heilmittel gegen die
Vergötzung der eigenen Erfahrungen und wertgeschätzten Besonderheiten
empfahl Vater Ambrosius stets das Ephräm-Gebet aus der Großen
Fastenzeit. ) Als seine Neigung zur kirchlich umstrittenen Lehre der
gnädigen Allversöhnung am Ende der Zeiten von einem Hörer mit der
Frage nach dem Schicksal von Tätern wie Hitler auf die Probe gestellt
wurde, erklärte er sie als „uninteressant“ für unser Leben, weil
unsere Aufgabe allein das Gebet und das Vertrauen auf Gottes
Barmherzigkeit sei; offen blieb allerdings der Stellenwert der
Opferperspektive...)
-
„Wenn es dir wichtig
ist, soll es auch mir wichtig sein.“
Wie ein
Liebender seiner Frau z.B. den häufigen Besuch beim Friseur auch dann
ermögliche, wenn ihm selbst die Wichtigkeit nicht einleuchte, so sei
im Umgang z.B. mit Andersgläubigen nicht der Streit angemessen,
sondern das geduldige Gespräch und das glaubwürdige Bekenntnis mit dem
eigenen Leben. (Jene haben – nicht erst nach seinem Tod – das
überzeugende Beispiel von Vater Ambrosius stets respektiert.) Nach
einem Vortrag im Rahmen des „Interreligiösen Dialogs“ an der
Hamburger Universität zum Semester-Thema „Sterben und Tod in den
Weltreligionen“ antwortete Vater Ambrosius auf die faszinierte
Bemerkung eines Studenten, über ein so begeistert-leidenschaftliches
Bekenntnis zur Auferstehung könne man doch nicht diskutieren, eben das
sei auch überhaupt nicht seine Absicht gewesen... Die Originalität
und Ausstrahlungskraft seiner Vorträge wurde von den Dialogpartnern
stets sehr geschätzt.
3.
„Die Botschaft Christi ist radikal und steht quer zu aller
Ausgewogenheit menschlicher
Erklärungen“,
die – etwa
im ökumenischen Dialog – niemandem auf die Füße treten dürften und
deshalb stets halbherzig seien. Nicht Arrangement mit der modernen
Welt (und erst recht nicht mit sich selbst!) sei das Gebot der
Verkündigung, sondern die beständige Umkehr – so wie im Alltag der
Ehe. (Auch das demütig-geduldige Hinhören beim Lesen der Hl. Schrift –
im Vertrauen auf die absolute Wahrheit des fleischgewordenen Wortes
(Logos), die sich oft erst im langen vertrauten Umgang mit ihm
erschließe – ist ein Ausdruck dieser vorbehaltlosen Liebe, die Vater
Ambrosius verkörperte.)
Nicht um der
Wohligkeit willen gebe es die ökumenische Begegnung, sondern „dass
die Welt glaube“ ( vgl. Joh 1,7 ). Und in diesem Geist
nahm Vater Ambrosius z.B. jahrzehntelang an der ökumenischen
St.Ansgar-Vesper zum Fest des „Apostels des Nordens“ und ersten
Bischofs von Hamburg und Bremen am 3.2. teil, grenzte sich aber
unmissverständlich vom immer drängender artikulierten „Konfessions-
und Kommunion-Tourismus“ um oberflächlicher Gemeinschafts-Erlebnisse
willen ab.
Wenn er
dagegen unermüdlich die Kirche als die durch Christus versöhnte
Gemeinschaft der Sünder beschwor – seit seiner „Verheiratung“ mit der
russischen Orthodoxie - und als deren Medium das zur Lebenshaltung
(zum Habitus) gewordene Gebet als „zielloses
Ziergespräch“ (Th. Mann) in personaler Offenheit bezeugte,
konnte er sich wiederum auf die Alltagserfahrung der Ehe berufen,
speise sie sich doch von der jeder Liebe eigentümlichen Wiederholung
der vertrauten Vollzüge. Gerade bei „spirituellen“ Gesprächspartnern
wie Muslimen und Buddhisten fand er damit bisweilen mehr Resonanz als
bei westlichen Christen, die ein eher aktionistisches
Gottesdienst-Verständnis pflegen und dabei die Vereinigung mit
Christus in der hl. Kommunion – der christlichen Weise der „unio
mystica“, zu der Beten, Fasten und Versenkung nur Wege sind – immer
geringer achten. Insofern war die eucharistische Frömmigkeit
ständiger Inhalt seiner Predigten in der Göttlichen Liturgie.
Am
Himmelfahrts-Fest hören wir den Appell des hl. Propheten Jesaja:
„Stellt ein Zeichen auf für die Völker!“ (Jes
62,10c) Zum Zeichen des Lebenszeugnisses von Vater Ambrosius
gehören: die ansteckende Glaubensfreude, die herzliche Ausstrahlung
auch auf Ferner-Stehende, der unaufdringlich-liebevolle
Verkündigungseifer, die geduldige versöhnliche Friedensarbeit, die
kraftvolle Demut im Ertragen des eigenen Leidens.
(überarbeitete Fassung des im Boten 3/2005 erschienenen
Nachrufs)
„Ewiges Gedenken!“
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