Tropar (2. Ton):
Vor Deinem allreinen Bilde
fallen wir nieder, o Gütiger,
und bitten um Vergebung
unserer Sünden, Christus Gott.
Denn im Fleisch wolltest Du
freiwillig
auf das Kreuz Dich erheben,
um Deine Geschöpfe aus der
Sklaverei
des Widersachers zu erlösen.
Deshalb rufen wir dankbar Dir
zu:
„Das All hast Du mit Freude
erfüllt,
Du unser Erlöser,
Der Du kamst die Welt zu
erretten.“
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Das christliche Verständnis des
Menschen unterscheidet zwischen dem im Spiegel oder Foto abbildbaren
„Gesicht“ und dem wesenhaften, hindurch scheinenden „Antlitz“
einer Person, ihrer Ausdrucks-Gestalt als Gottes Ebenbild – so wie
Gott diesen bestimmten Menschen geschaffen und gemeint hat. Sichtbar
gemacht wird dieses Antlitz in einer Ikone; deshalb verlangt sie einen
historischen Rückbezug zu dem realen Menschen und unterbindet das
„freie Künstlertum“ bei der Abbildung. Das gilt natürlich auch für
das Ebenbild Gottes und Urbild des Menschen, Jesus Christus. (Kol
1,15)
Deshalb ist der Kirche die
Grundlegung der Ikonenmalerei durch die seit dem 4. Jhdt. verbreitete
Ursprungslegende stets wichtig gewesen. Auf sie nimmt
auch das Weihe-Gebet für Christus-Ikonen Bezug: Abgar,
der kranke König von Edessa, habe durch ein Tuch, auf das Christus
Sein Antlitz geprägt habe und das die Gesandten dem König
überbrachten, Heilung erfahren und darauf hin das erste Bildnis des
Erlösers abmalen lassen. Jenes „nicht von Menschenhand gemachte Bild“
oder „Mandylion“ galt seither als Zeugnis der wirklichen Inkarnation
und der „nicht von Menschenhand gemachten“ Wahrheit in der
Überlieferung der Kirche. Legenden sind ja keine erfundenen frommen
Geschichten, sondern „Wort-Ikonen“, die die geistige Gestalt eines
Heiligen oder eines Ereignisses erzählend darstellen, und insofern
kommt auch dieser Ursprungslegende eine tiefe Wahrheit zu – unabhängig
von der historischen „Richtigkeit“ im Detail.
Kaum jemand unter den „Aufgeklärten“
hat dieser Legende außer der psychologischen und symbolischen Wahrheit
noch einen historischen Kern zugetraut – und doch mehren sich die
Zeichen für die Authentizität der traditionellen Christus-Ikonen, und
die Spuren führen tatsächlich über Edessa zurück bis nach Jerusalem –
aber, anders als erwartet, zum Grab des Herrn und zu mindestens zwei
Reliquien, deren Echtheit immer wahrscheinlicher wird, je genauer die
Recherchen werden.
Dass das Mandylion die Gesichtszüge
des Grabtuches von Turin (Sindone) wiedergeben
könnte, wurde schon lange vermutet, wenn auch störend wirkte, dass es
die Körperspuren eines Toten, mit geschlossenen Augen, enthält. Die
zwischenzeitliche Irritation angeblicher Datierungs-Ergebnisse
mithilfe der Radiocarbon-Methode, die das Tuch als Produkt
mittelalterlicher Fälschungen entlarven sollten, sind inzwischen
korrigiert worden, so dass die Herkunft aus dem Hl. Land zur Zeit Jesu
plausibel erscheint. Genaueste gerichtsmedizinische Untersuchungen
fanden alle biblischen Berichte über die Folterungen Jesu im Einklang
mit den Spuren auf dem Tuch. Seit der sensationellen Entdeckung 1898,
dass die Gesichtszüge erst auf dem Fotonegativ wirklich deutlich
(„positiv“) erkennbar werden (der Abdruck also selbst ein Negativ
ist), wurde immer wieder gerätselt, wie Ikonenmaler so lebendige
Gesichter nach den fahlen Leichenspuren auf dem geheimnisvollen Tuch
haben gestalten können – bis vor wenigen Jahren durch die
unermüdlichen Recherchen des WELT-Korrespondenten Paul Badde ein noch
viel geheimnisvolleres „Textil“, das seit vierhundert Jahren in dem
abgelegenen Abbruzzen-Dorf Manoppello als „Heiliges
Gesicht“ („Volto santo“) verehrt wird, in den
Blickpunkt einer erstaunten Öffentlichkeit rückte.
Es handelt sich um einen völlig
durchsichtigen nahezu farblosen Schleier von solcher Leichtigkeit
(feiner als Nylon), dass er in eine Walnussschale passen würde. Als
Material wurde die heute fast unbekannte, in der Antike
unerschwinglich kostbare Muschelseide aus den Byssos-Fäden einer
Meeresmuschel identifiziert. Es ist mit keinem bekannten Farbstoff zu
bemalen. Das Rätsel besteht darin, dass das Tuch von Manoppello ein
Gesichtsbild von unergründlicher Lebendigkeit enthält, aber eben
keinerlei Pigment-Spuren - vergleichbar den Farben der
Schmetterlingsflügel, die durch rein physikalische Effekte zustande
kommen. Je nach Beleuchtung erscheinen die Einzelheiten des Gesichts
und die Farben verschieden; im Gegenlicht verschwindet das Bild in der
nur noch weiß schimmernden Fläche.
Durch sehr detaillierte Nachmessungen
der Proportionen wurden entgegen dem ersten Augenschein weitest
gehende Übereinstimmungen sowohl zwischen den Gesichtern des Turiner
Tuches (Sindone) und des Schleiers von Manoppello (Sudarion)
als auch mit den typischen Ikonen festgestellt. Das Fazit aller
dieser Studien lautet nach der Überzeugung von Paul Badde: Grabtuch
und Schleier sind die beiden Tücher, von denen das Johannes-Evangelium
berichtet (Joh 20,6f.), und damit die Reliquien des
Foltertodes und der Auferstehung Christi. (Der Schleier enthält keine
Blutspuren und lag wohl über dem mit Aloe und Myrrhe getränkten
Grabtuch, so dass das Gesicht auf völlig unerklärliche Weise, aber,
anders als die Spuren des Grabtuches, positiv erscheint – „das Werk
des Hl. Geistes“; Badde) Sie wären dann die beiden komplementären
Urbilder der Christus-Ikonen, nach denen alle späteren Christus-Ikonen
geschrieben wurden. (Typisch für das Mandylion ist das Fehlen von Hals
und Schultern.) Die Schweißtuch-Legenden sind demnach zwar in den
erzählerischen Details nicht wörtlich zu nehmen; die Grundaussage,
dass sie die authentischen Gesichtszüge Christi darstellen, wäre aber
ihr historischer Kern.
Gläubige, liebende Augen
erkennen in den Ikonen das wahre Antlitz der göttlichen Liebe
nicht nur im übertragenen Sinn, sondern historisch-konkret wieder.
Zu den Mandylion-Festen (außer dem
16./29.8. noch am 9./22.8. – Christus erscheint im 3. Jhdt. einer
Frau, die sich heimlich nach der Taufe sehnt, wäscht Sein Antlitz in
einem Wasserbecken und drückt es beim Abtrocknen auf einem Tuch ab -
und am 11./24.8.) gehört das Tropar, das auch am
Sonntag der Orthodoxie in der Großen Fastenzeit seit dem
endgültigen Sieg der Ikonenverehrung (Konzil von Nizäa 787; Kaiserin
Theodora 843) gesungen und stets von den Klerikern nach dem Betreten
der Kirche vor der Ikonostase gebetet wird.
Die Beobachtung, dass wir in unserer
Kirche das Mandylion über der Südtür, also im der
Leidenswoche des Herrn gewidmeten Schiff, und sehr häufig am obersten
Balken des Kreuzes finden, fügt sich auch zur Legende vom „Schweißtuch
der Veronika“, die im Westen seit dem Mittelalter sehr populär
war. Dessen Reliquie soll gerade zu der Zeit (8. Jhdt.) im Vatikan
aufgetaucht sein, als das Sudarium in Konstantinopel (wohin es im
6.Jhdt. gelangt war) verschwand. (Das Sindone wurde dort 1204 von
Kreuzrittern geraubt und befindet sich heute in Turin.) Veronika soll
dem Herrn auf Seinem Weg nach Golgatha das Schweißtuch gereicht und
mit dem Abdruck Seines Antlitzes zurück erhalten haben.
Literatur:
Das Synaxarion,
Bd. II; Chania (Kreta) 2006
Paul Badde: Das
göttliche Gesicht. Die abenteuerliche Suche nach dem wahren Antlitz
Jesu;
München 2006
Pavel
Florenskij: Die Ikonostase:; in: Ders.: Christentum und Kultur (Werke
II/2);
Berlin 2004; bes. S. 123-132
Maria Grazia
Silato: Und das Grabtuch ist doch echt. Die neuen Beweise; Augsburg
1998
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