Kurskaja (27.11./10.12)
Zur Ikone der Gottesmutter von Kursk
(P. Nikolai Wolper)
Diese Ikone hat eine Jahrhunderte lange wechselvolle Geschichte von Besitzstreitigkeiten, politischen Vereinnahmungen, Raub und Wiederfindung, Versuchen sie zu zerstören und wundersamer Wiederherstellung, bis sie l9l9 vom südrussischen Kursk nach Serbien und dort in die Obhut der Russischen Auslandskirche gelangte, ab 1945 in deren Zentrum nach München und nach dem Umzug des Metropoliten Anastasij l95l in die USA. Dort fand sie 1957 ihre seitherige Heimat im Sitz des Synods bei New York und bereist regelmäßig die Exil-Diözesen in der Welt.
"Im 13.Jhdt. erlitt das Gebiet von Kursk wie beinahe das gesamte damalige Russland eine schreckliche Verwüstung durch den Einfall der Tataren. Die Stadt Kursk wurde vollständig zerstört und verwandelte sich in eine unwirtliche, von einem Urwald überwucherte und von wilden Tieren bewohnte Einöde. Die Einwohner der etwa 90 Werst entfernten Stadt Ryl'sk, die durch einen glücklichen Zufall von dem Pogrom der Tataren verschont geblieben war, pflegten dort auf Jagd zu gehen. Und so geschah es, dass am 8. September1295, dem Festtag der Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin, eine kleine Schar von Jägern aus Ryl'sk am 27 Werst entfernten Fluss Tuskora auf Jagd ging. Während einer dieser Jäger, ein ehrwürdiger und frommer Mann, im Wald nach Jagdbeute Ausschau hielt, stieß er auf eine Ikone von nicht sehr großen Ausmaßen, die umgekehrt auf einer Baumwurzel lag. Kaum halte er die Ikone aufgehoben, um sie anzuschauen, als aus der Stelle, auf der sie lag, ein kräftiger, üppiger Quell klaren Wassers hervorsprudelte. (...) Als der Ryl'sker Fürst Vasilij Schemjaka von der Ikone hörte, befahl er, sie in die Stadt Ryl'sk zu bringen, was auch unter großen Feierlichkeiten geschah.(...) Aber nicht lange verblieb die Ikone in Ryl'sk. Dreimal verschwand sie auf wunderbare Weise von dort, und man fand sie an dem Ort wieder, wo sie zuerst dem Jäger erschienen war. Da begriffen die Ryl'sker, dass es der Mutter Gottes wohlgefällt, wenn ihre Ikone an dem Ort der Erscheinung bleibt, und so errichteten sie dort eine Kapelle in welcher sie die Ikone für immer aufstellten.(...)
1385 wurde das Gebiet von Kursk erneut von den Tataren verwüstet. Sie versuchten auch die Kapelle und die Ikone zu verbrennen, aber die hölzerne Kapelle geriet nicht in Brand. Der neben der Kapelle wohnende Priester, Vater Bogolep, erklärte ihnen, dass die Ursache für dieses Wunder in der Ikone selber liege. Daraufhin hauten die erzürnten Tataren die Ikone mittendurch und warfen die zwei Hälften in verschiedene Richtungen, die Kapelle aber brannten sie nieder. Den Priester nahmen ihn gefangen und verbannten ihn auf die Krim, wo er die Herden der Tataren weiden musste. Nach einiger Zeit wurde er von den Gesandten des Moskauer Fürsten, die zur Tatarenhorde gekommen waren, losgekauft, und so kehrte er zu dem Ort zurück, an dem die Kapelle stand. Nachdem er lange unter Gebet und Fasten gesucht hatte, fand er die beiden Hälften der heiligen Ikone, legte sie aneinander, und sie wuchsen so gut zusammen, dass keine Spur von dem Schnitt übrigblieb und an der Stelle nur so etwas wie ,Tau' herauskam...." (Die Geschichte der Mutter-Gottes-Ikone von Kursk mit dem Beinamen ,,von der Wurzel " : München 1950)
Nun wird unser heutiges Motiv, dieses Heiligtum zu verehren, sich weniger an seiner Herkunft aus der Abwehr äußerer Feinde Russlands, besonders bei den Tataren-Einfällen seit seiner wundersamen Auffindung an einer Baumwurzel im 13. Jh., entzünden, auch nicht im übertragenen Sinn als Waffe bei unserem Kampf mit dem Bösen, den Widersacher-Mächten, die uns mit Gott zu entzweien trachten; sondern seine heilende Kraft liegt in seiner tiefen symbolischen Bedeutung für die Klärung unserer Seele (und dadurch manchmal auch des Leibes). (So sieht es die Psychologin Helene Hoerni- Jung.)
Die originale Kurskaja-Ikone, die im 16. Jh. um Bilder der Propheten, die das Urbild der Gottesmutter geschaut haben, erweitert und kostbar verkleidet wurde, gehört zum Ikonentyp der "Gottesmutter des Zeichens" und unterscheidet sich von den meisten Ikonen der Gottesgebärerin durch ihre Zentrierung auf die kindliche Christusgestalt in ihrer Mitte. "Der Herr (wird euch) ein Zeichen geben. Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Im-manu-El (Mit-uns-Gott) , geben." - diese Weissagung des Propheten Jesaja (Jes 7,14) wird nach dem Zeugnis der Evangelisten (Mt 1,23) in Jesus erfüllt, weswegen die Christen sie am Weihnachtsfest lesen. In Situationen des Zwiespalts und der Unentschlossenheit - wie damals, als Juda zwischen den Fronten von Israel/Aram und Assur schwankte (Jes 7) - kann dieses "Zeichen Gottes" neue Möglichkeiten unseres Lebens Gestalt werden lassen. Die Gebärde der betenden Gottesmutter mit den weit ausgebreiteten Armen meint nicht kleinlich-egoistische Bitten in den Wechselfällen unseres Alltags, sondern das mutige, erwartungsvolle Sich-Öffnen, die Hingabe an die Weisheit und Gnade Gottes - "bis dass Christus in euch Gestalt gewinnt"(Gal 4,l9). Ikonen sind nicht nur Objekte der Verehrung, sondern auch Meditationsbilder! Für dieses Sich-Entwickeln in der Hingabe an den lebendigen Herrn steht das Bild des Kindes mit all seiner Hoffnung und Zuversicht mitten vor der Brust seiner Mutter. Psychologisch gesehen ist es ein Symbol der Bewusstwerdung sowie der Kondak uns auffordert, "lichtstrahlend (...) ergriffen zum Urbild (zu) rufen"; d.h. uns ergreifen zu lassen von der lebenspendenden Liebe Gottes und so selbst zu leuchtenden Zeichen in der Welt zu werden, ohne Angst vor äußeren und inneren Widersachern.
Wir dürfen uns als Kinder Gottes im Sohn, Der ein kleiner Mensch geworden ist, wieder erkennen. Aber der Abstand zum vorewigen Gott, Der das ganze Weltall geschaffen hat, bleibt unendlich groß Deshalb trägt das Gotteskind oft die Züge eines Erwachsenen. (lm eigenen Ikonen-Typ ,,Christus Immanuel" - ohne Seine Mutter - wird der Gottessohn als ,,Kindgreis" dargestellt um Seine göttliche Natur jenseits aller Zeit auszudrücken.)
"Nachdem wir als unüberwindliche Mauer und als Quelle der Wunder Dich, allreine Gottesgebärerin, gewonnen haben, werfen wir, Deine Diener, die Schar der Widersacher zu Boden; daher bitten wir Dich : Schenke den Frieden unserem Vaterland und unseren Seelen großes Erbarmen."
"Kommt, Gläubige, lichtstrahlend lasst uns die wunderbare Erscheinung des allehrwürdigen Abbildes der Muttergottes feiern, und von ihrer Gnade schöpfend, lasst uns ergriffen zum Urbild rufen: Sei gegrüßt, Maria Gottesgebärerin, Mutter Gottes, voll der Gnade."
(Üb.: P. Benedikt Lohmann )
Lit.: Helene Hoerni-Jung: Maria. Bild des Weiblichen. Ikonen der Gottesgebärerin; München 1991 , S.45ff.